Was ein emergenter Pseudo-Paulus auf dem
Areopag der Postmoderne sagen würde
In seiner berühmten Rede an die Athener auf dem Areopag (Apostelgeschichte 17,22-31) können wir Paulus als absoluten Meister der kulturorientierten Evangelisation erleben. Obwohl er die Manifestationen des falschen Glaubens- und Wertesystems (der falschen „Metaerzählung“) der Athener nur all zu deutlich sah und darüber verärgert wurde, fand er einen positiven Anknüpfungspunkt in ihrer Kultur, um ihnen die über allen Kulturen und Epochen stehende Wahrheit Gottes nahebringen zu können. Paulus hatte in Athen genau das praktiziert, was er später gegenüber den Korinthern in 1.Korinther 9,20.22 beschrieb. Aber niemals wurde Paulus dabei den Sündern ein Sünder oder den Irrenden ein Irrender oder nahm Abstriche an der Wahrheit Gottes vor, um sie den Überzeugungen der jeweiligen Kultur oder des Zeitgeistes anzupassen.
Würde ein emergenter „Pseudo-Paulus“ auf dem heutigen „Areopag der Postmoderne“ stehen und die von der Emergenten Bewegung so geschätzten und so häufig zitierten Denker des Postmodernismus konsequent ernst nehmen, so müßte sich seine Rede in etwa wie folgt anhören:
[Ironie ein]
Menschen der Postmoderne!
Ich sehe, daß ihr in zahlreichen Sprachspielen redet und an vielfältiger
Spiritualität interessiert seid. Ich habe euren pluralistischen religiösen Diskurs
beobachtet sowie die Tatsache, daß ihr eine Vielfalt von Letzt-Vokabularen benutzt. Ich
habe gesehen, wie ihr den Tod der objektiven Wahrheit und das Verschwinden der Metaerzählungen
gefeiert habt, und fürwahr, ich verkünde euch hiermit, daß ihr damit recht habt,
wie auch einer eurer Denker bereits gesagt hat: „Wir sind mißtrauisch gegenüber
allen Metaerzählungen“. Das, was ihr bereits gesagt habt, möchte ich euch
gegenüber mit einem geringfügig anderen Akzent nochmals bekräftigen.
Wir haben die Moderne als einen schlechten Traum hinter uns gelassen. Wir lehnen ihren
Rationalismus, ihren Objektivismus und ihre intellektuelle Arroganz ab. Stattdessen bejahen
wir die christliche Gemeinschaft, die bekundet, daß Gott das Band ist, das unser
Netzwerk von Überzeugungen eint. Wir haben unsere eigene Art, die Welt zu interpretieren
und Worte zu benutzen, die wir euch nun aufrufen, für euch anzunehmen. Wir bringen euch
kein Argument für die Existenz Gottes, denn natürliche Theologie ist schlicht
rationalistische Hybris. Wir sind nicht an Metaphysik interessiert, sondern an
Jüngerschaft.
Für uns ist Jesus der Herr. So reden wir. So handeln wir auch; es ist wichtig für
uns. Und, obwohl wir uns auf keine Beweise außerhalb unserer eigenen gemeinsamen
Überzeugungen und Traditionen berufen können, glauben wir, daß Gott Herr
unserer Erzählung ist. Wir bitten euch, bei unserem Sprachspiel mitzumachen. Bitte.
Da es uns nicht möglich ist, euch unabhängige Beweise für unseren Wortgebrauch
zu bringen, oder uns auf harte Fakten zu berufen, erklären wir dies schlicht zu
unserer Wahrheit. Sie kann genausogut zu eurer Wahrheit werden, wenn ihr mitmacht. Jesus
ruft euch nicht dazu auf, Glaubensaussagen zu glauben, sondern ihm zu folgen. Ihr könnt
nicht wirklich verstehen, worüber wir reden, bis daß ihr mitmacht, aber ab dann
wird es wesentlich klarer sein. Vertraut uns. Gott ruft, in unserer Sprechweise ausgedrückt,
jedermann an jedem Ort dazu auf, sein oder ihr Sprachspiel zu ändern, sich einen neuen
Diskurs anzueignen und die Realität ein weiteres Mal umzuschreiben. Wir reden so, daß
die Auferstehung Jesu die entscheidende Vokabel in unserem Letzt-Vokabular ist. Wir hoffen,
daß ihr lernt, auf die gleiche Art wie wir zu reden.
[Ironie aus]
Nach Douglas Groothuis, Truth Decay, S.161 f.; Übertragung ins Deutsche: Torsten Narjes
Man sieht unmittelbar, wie komplett anders im Geist diese Rede ist im Vergleich zur ursprünglichen Rede des Apostels Paulus: Sie hat unserer Gesellschaft nichts Einzigartiges oder gar Provokatives zu sagen. Warum es nötig sein soll, komplett umzudenken, umzukehren, oder Jesus getreu bis an den Tod zu sein, läßt sich im Kontext eines postmodernistisch umgedeuteten Christseins niemals nachvollziehen.
Im zweiten Teil meiner Vortragsabende „Emerging Church“ im Januar 2013 in der Freien Christengemeinde Lüneburg nehme ich ab 15'17" Bezug auf den obigen Text.
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